Über das Siegel

Ein Siegel ist der Abdruck eines vertieft seitenverkehrt gravierten Stempels,
meistens aus Messing, weniger aus Edelmetall, selten aus Stahl oder Stein.
Solche Siegel wurden in früheren Zeiten in Ton, Blei oder Wachs abgeformt,
gepresst oder abgegossen. Nach der Erfindung des Siegellacks (1560) – eine
Mischung aus Kolophonium, Schellack, venetianischem Terpentin und Farb-
pigmenten — verwendet man meistens diese leicht schmelzbare Masse.
Aber alle derartigen Abdrücke waren gegen Verschleiß sehr empfindlich und
wurden deshalb in gedrechselten Holzkapseln mit Deckel (seltener
in versilberten oder vergoldeten Metallbüchsen) befestigt. Durch an Kapsel
und Dokument angebrachte Löcher oder Schlitze zog man Pergamentstreifen
oder farbige Schnüre. Eine Lösung von Siegel und Dokument war so — ohne
Beschädigung— nicht möglich. die päpstlichen Siegel, Bullen genannt (lat.
bulla = Kapsel) waren zuweilen sogar aus Gold (die »Goldene Bulle«!).
Der Zweck eines Siegels war offensichtlich einem Vertrag, einer Urkunde,
einem Diplom, Dokument usw. unbedingte Glaubwürdigkeit und öffent-
liche Kraft zu verleihen.

Petschaft seitenverkehrt
vertieft graviert
in Silber.
Olaf Schotenröhr.
 

Die Vorkehrungen und Sicherheitsmaßnahmen, verbunden mit der mühe-
vollen, einmaligen Gravurarbeit des Siegelschneiders, machten es möglich,
daß z. B. ein Ordens- oder Klostergründer mit gesiegelter Urkunde nach
monatelanger, gefährlicher Reise aus Rom in irgendeine Wildnis zurück-
kehrte und unangefochten sein Werk beginnen konnte, das Siegel des Papstes
hatte für alle volle Glaubwürdigkeit. Wir verstehen, daß ein Siegel von
außerordentlicher Wichtigkeit war, es war auch ohne irgend ein anderes
Legalisierungsmittel gültig, konnten doch sogar viele Könige weder lesen
noch schreiben (selbst Kaiser Karl der Große soll erst in seinen späten Jahren
diese »Kunst« erlernt haben).

Siegelring-Rohling direkt nach dem Guss Siegelring poliert und graviert
 
Jeder Edelmann oder Ritter trug an seinem Leibriemen ein Lederband mit
einem kurzen Siegelstock, um jederzeit etwas siegeln (unterschreiben!) zu
können. Für die sichere Aufbewahrung der großen Königs- oder Staatssiegel
schuf man eigens das hohe Amt des Siegelbewahrers, es war z. B. in England
der Lordkanzler, in Frankreich der »Garde de sceaux« (heute Justizmini-
ster), in Deutschland bis 1806 der Kurfürst von Mainz.
Um Missbrauch mit seinen u. U. unabsehbaren Folgen zu vermeiden, äng-
stigte man etwaige Fälscher mit drakonischen Strafen (z. B. in einem Falle
wurde das Kochen in einem Ölkessel angedroht).

Siegel der Französischen
Königin Elisabeth
nachgraviert von Hand wie
bei den alten Siegelschneidern.

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Gute Siegelschneider waren selten, deshalb hoch angesehene Leute, um deren
Gunst zuweilen Päpste, Könige und Fürsten buhlten, oder sie durch
großzügige Angebote anzulocken oder abzuwerben versuchten. Einem gro-
ßen Geist oder einer kunstgeübten Hand standen damals alle Grenzen offen.
An einem für uns Graveure besonders interessanten Beispiel soll einmal das
Leben des schweizerischen Graveurs, Stempel- und Siegelschneiders sowie
Medailleurs Carl Hedlinger kurz geschildert werden. Er lernte 1708 in
Luzern bei einem Siegelschneider und Goldschmied, arbeitete dann in Paris und
Stockholm— am Hofe Karls des XII —, später in Amsterdam (hier schon
versuchte Peter der Große ihn für russische Dienste abzuwerben). Auch der
dänische und polnische Hof bemühten sich um diesen tüchtigen Graveur. Später
arbeitete Hedlinger zwei Jahre für die Zarin Anna. In seinen Aufzeichnungen
schreibt er darüber wörtlich: »durch generöseste Offerten in Dero Dienst zu
treten ich allergnädigst angelockt wurde.« Es kann sich wohl nur um viel Geld
gehandelt haben, Hedlinger war also ein typisches Kind der Schweiz, wer wollte
es ihm verübeln? Er machte eine aus- und ergiebige Italienreise, wo eine große
Medaille für Papst Benedikt XIII. entstand. Erstaunlich für den Fachmann ist,
dass Hedlinger auf seinen vielen Reisen alle seine Werkzeuge bei sich gehabt
haben muss. Auf der Rückreise besuchte er die Höfe von Wien und Dresden
und kam auch nach Prag und Preßburg. Vermutlich hat er sich auf den — damals
gar nicht so komfortablen Reisen — ein Rheumaleiden zugezogen, denn er
frequentierte zwischendurch häufig die warmen Bäder seiner Heimat. Im
damals sehr hohen Alter von 79 Jahren starb er, ohne Leiden, in Schwyz an
einem Schlaganfall.
Karl XII - 1 Riksdaler 1718
Graviert von
Johan Carl Hedlinger.
 
Sein Wahlspruch lautete »lagom« (nicht zu viel, nicht zu wenig). Hedlinger
war ein typischer Zeitgenosse einer der glanzvollsten Perioden der Ge-
schichte: gewandt, sprachenkundig, sogar im Gebrauch eines Säbels nicht
unerfahren und natürlich— vor allem — ein kaum zu überbietender Meister
seines Faches. Es hat manche solche Könner — auch einfacher Herkunft —
gegeben. Wer aber die bewunderungswürdige Fähigkeit zu derartigen Arbeiten
einmal erworben hatte, brauchte nicht zu fälschen, deshalb wird es Siegelfälscher
kaum gegeben haben (wer will denn schon gern gesotten werden?). Ging ein
Siegel verloren, erklärte man es sofort für ungültig. Lautete ein Siegel auf eine
Person (nicht Amt), wurde es bei deren Ableben gewöhnlich öffentlich
zerschrammt und mit ins Grab gegeben. Heute finden Abdrücke von Siegeln
in Wachs oder Siegellack mehr für dekorative Zwecke Verwendung. Häufiger
benutzt man die Farblos-Relief-Papierprägesiegel, hierbei wird in die vertiefte
Siegelgravur mittels einer Presse Papier oder Karton eingeprägt. Dazu benötigt
man einen erhabenen Gegen(Konter-)stempel, sogenannte Gegendruckpatrize.
Übrigens muss jeder, der Briefe oder Päckchen mit einem versicherten Inhalt
höheren Wertes verschickt, ein Siegel, Petschaft oder einen Siegelring be-
sitzen, das ist zwingend von der Post vorgeschrieben.

Siegel des Papstes Johannes Paul II.
Gravur meines Lehrmeisters
Rudolf Niedballa

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Elisabez